WHO im Faktencheck: Aufgaben und Grenzen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich seit ihrer Gründung 1948 der Vision verschrieben, „das bestmögliche Gesundheitsniveau für alle Menschen“ zu erreichen. Doch in Zeiten globaler Krisen, wachsender Impfskepsis und geopolitischer Spannungen wird immer wieder gefragt: Wie handlungsfähig ist die WHO wirklich – und wo liegen ihre Grenzen?

In der Ö1-Sendung „Punkt eins“ diskutierte Dr.in Sabine Vogler, Leiterin des WHO-Kooperationszentrums an der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), die aktuelle Situation der Organisation – sachlich, differenziert und ohne Illusionen über ihre Machtbefugnisse.
Die Rolle der WHO: Empfehlungen, keine Vorschriften
Anders als oft angenommen, kann die WHO keine verbindlichen Gesundheitsvorgaben machen. Sie ist ein beratendes, koordinierendes Organ. „Die WHO ist kein Gesundheitspolizist,“ betont Sabine Vogler. „Sie gibt Empfehlungen ab, arbeitet evidenzbasiert und unterstützt Länder mit technischer Expertise – aber sie kann nichts durchsetzen.“
Diese Empfehlungen, etwa zu Impfprogrammen, Arzneimittelpolitik oder Gesundheitsprävention, basieren auf wissenschaftlicher Evidenz und werden durch Fachgruppen, Arbeitskreise und Kooperationszentren wie jenes in Österreich unterstützt.
Pandemieabkommen: Ein Schritt in Richtung globale Solidarität?
Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie wurde im Mai 2025 ein internationales Pandemieabkommen beschlossen. Es enthält Zielsetzungen für eine gerechtere Verteilung medizinischer Güter und Wissensressourcen im Krisenfall. Doch Vogler mahnt zur Nüchternheit: „Das Pandemieabkommen ist ein politisches Zeichen – ein Rahmenwerk, das Potenzial zur Solidarität enthält. Ob es wirksam wird, hängt von der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten ab.“
Die WHO könne dabei lediglich koordinieren und unterstützen, nicht aber verbindlich handeln. Eine Ratifizierung durch mindestens 60 Staaten ist notwendig, damit das Abkommen in Kraft tritt.
Finanzierungsproblem: Wenn Freiwilligkeit zur Schwäche wird
Ein zentrales Problem der WHO liegt in ihrer Finanzierungsstruktur. Während früher 80 % der Mittel aus Pflichtbeiträgen kamen, sind es heute nur noch rund 15 %. Der Rest stammt aus freiwilligen, oft zweckgebundenen Beiträgen – u.a. von einzelnen Staaten oder privaten Stiftungen.
„Wer viele freiwillige Beiträge gibt, steuert auch mit, wofür investiert wird“, erklärt Vogler. Das könne zwar gezielte Hilfe ermöglichen, „führt aber zu einer Schieflage, wenn es nur mehr um kurzfristige, sichtbar wirkende Projekte geht.“
Die WHO selbst erkennt diese Problematik an und erstrebt, den Anteil der Pflichtbeiträge bis 2030 deutlich zu erhöhen.
USA kündigen Austritt an – massive Auswirkungen möglich
Besonders brisant: Anfang 2025 kündigten die USA unter Präsident Trump den Austritt aus der WHO an – ein Schritt, der ab 2026 wirksam werden könnte. Auch Argentinien plant ähnliches. „Für die WHO hätte das drastische Folgen,“ warnt Vogler. „Es gibt Programme, die bereits gekürzt wurden. Personen werden entlassen. Das betrifft reale Gesundheitsprojekte, etwa bei Tuberkulose oder Polio.“
Auch der internationale Wissensaustausch könnte leiden: Forscher:innen aus den USA könnten künftig keinen Zugang mehr zu WHO-Datenplattformen haben oder in Fachgruppen mitwirken.
Impfskepsis und globale Ungleichheit als Herausforderungen
Laut WHO sind Impfquoten weltweit gestiegen – und dennoch nimmt die Impfskepsis in vielen Regionen zu. Masern- und Keuchhustenfälle haben sich in Europa zuletzt deutlich erhöht. Eine Entwicklung, die die WHO beobachtet, jedoch nicht eigenständig steuern kann.
„Es ist immer Aufgabe der Mitgliedstaaten, Empfehlungen umzusetzen“, erklärt Vogler. „Die WHO kann nicht entscheiden, ob es Lockdowns oder Maskenpflicht gibt – das sind nationale Entscheidungen.“
Ein weiteres Problem: der ungleiche Zugang zur Gesundheitsversorgung. In vielen Ländern ist medizinische Behandlung mit hohen Eigenkosten verbunden. Die WHO unterstützt hier durch Fachberatung, etwa zur Preisregulierung von Medikamenten, und stellt evidenzbasierte Leitlinien zur Verfügung.
Differenz statt Schwarz-Weiß: Die WHO als Koordinationsorgan
Vogler weist klar auf die begrenzte Macht der WHO hin, ohne ihre Bedeutung zu relativieren: „Die WHO ist immer nur so stark wie die Mitgliedstaaten, die sie tragen – fachlich, politisch und finanziell.“
Sie betont die Rolle der Organisation als Plattform für internationale Zusammenarbeit, Evidenzaufbereitung und Krisenkoordination – nicht aber als Durchsetzerin von Maßnahmen.
Fazit: WHO weder zahnlos noch allmächtig
Die WHO ist kein globales Gesundheitsministerium. Ihre Empfehlungen sind nicht bindend, ihre Handlungsspielräume begrenzt – vor allem finanziell und politisch. Doch sie ist auch nicht zahnlos: Ihre Netzwerke, Datenanalysen, Expertengruppen und evidenzbasierten Leitlinien sind essenziell für viele Länder, insbesondere im globalen Süden.
Wer eine starke WHO will, muss bereit sein, sie zu unterstützen – nicht nur rhetorisch, sondern auch strukturell, fachlich und finanziell.
Weitere Informationen:
OE1 - Wie gesund ist die WHO? Punkt eins
WHO-Kooperationszentrum für Arzneimittelpreisbildung und -erstattung
