Gesundheitsbericht Kinder und Jugendliche 2024
Um inhaltlich in die Tiefe gehen zu können, wurde das Thema sehr eng gefasst. Auf Basis eines Überblicks über häufige Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen wurden zwei Themen gewählt, die aufgrund der Prävalenz und der jüngsten Entwicklung deutlich an Brisanz gewonnen haben: Adipositas und Depression, also eine somatische und eine psychische Erkrankung, die auch miteinander in Wechselwirkung stehen.
Ergebnisse
Laut Selbstangaben bei der HBSC-Befragung hatten 2021/2022 17 Prozent der 11- bis 17-jährigen Schülerinnen und 25 Prozent der gleichaltrigen Burschen Übergewicht oder Adipositas. Das waren deutlich mehr als zehn Jahre davor. Je nach Altersgruppe war ein Anstieg zwischen vier und sieben Prozentpunkten zu beobachten. Gemäß COSI – einer Studie mit gemessenen Daten bei Volksschulkindern – waren im Jahr 2020 je nach Klassifikationsgrundlage (WHO oder IOTF) unter den 7- bis 10-Jährigen jeder dritte bis vierte Bub und jedes vierte bis fünfte Mädchen übergewichtig oder adipös. In Städten ist die Prävalenz höher als in ländlichen Regionen. Österreich liegt damit im oberen Mittelfeld aus 36 an COSI teilnehmenden Ländern. Insbesondere hinsichtlich Adipositas sind Burschen deutlich häufiger betroffen als Mädchen.
Depressive Störungen verursachen bei der Altersgruppe der unter 19-Jährigen den größten Verlust an gesunden Lebensjahren innerhalb aller psychiatrischen Störungen. In der MHAT-Studie wurden eine Punktprävalenz von fast 3 Prozent und eine Lebenszeitprävalenz von rund 6 Prozent bei 10- bis 18-Jährigen in Österreich in den Jahren 2013–2015 erhoben. Laut ATHIS 2019 berichteten fast 2 Prozent aller 15- bis 19-Jährigen in Österreich von einer ärztlich diagnostizierten Depression innerhalb der letzten zwölf Monate, weitere 2 Prozent waren eigenen Angaben zufolge von einer Depression betroffen. Deutlich höher ist gemäß HBSC, in der das emotionale Wohlbefinden mit dem WHO-5-Messinstrument erfasst wird, der Anteil an Jugendlichen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einer vorliegenden depressiven Verstimmung oder Depression: 22 Prozent der Mädchen und 10 Prozent der Burschen im Alter von 11 bis 17 Jahren sind betroffen. Besonders drastisch zeigt sich die Entwicklung der Hospitalisierungsraten von bis 19-Jährigen aufgrund der ICD-10-Diagnosen F32 und F33 (depressive Episoden und Rezidivierende depressive Störung), die sich in Akutkrankenanstalten zwischen 2002 und 2022 vervierfacht hat und insbesondere bei den Mädchen seit 2014 stark angestiegen ist. Nochmal ein deutlicher Anstieg war nach dem Jahr 2020 durch die COVID-19-Pandemie, wiederum vor allem bei Mädchen, zu beobachten.
Die beiden Krankheitsbilder begünstigen sich gegenseitig. Adipositas ist vielfach schon im Jugendalter mit zahlreichen Komorbiditäten (z. B. muskuloskelettalen Problemen, Schlafapnoe, Asthma, Insulinresistenz, Fettleber, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychischen Probleme) assoziiert, zu denen im Erwachsenenalter weitere erhöhte Krankheitsrisiken hinzukommen (z. B. Atherosklerose, Typ-2-Diabetes, Dyslipidämie, Hypertonie, Leberfibrose, verschiedene Krebsarten). Depressive Erkrankungen verstärken häufig bereits bestehende Beschwerden und Erkrankungen. Menschen mit depressiven Erkrankungen haben ein 20-fach erhöhtes Suizidrisiko. Sowohl Adipositas als auch Depression (und die Begleiterkrankungen) tragen dazu bei, dass die Fehlzeitquoten in der Schule höher und dadurch die schulischen Leistungen beeinträchtigt sind. Adipositas und Depression bei Kindern und Jugendlichen stellen deshalb eine enorme Belastung für das Gesundheitswesen dar, haben darüber hinausgehende gesellschaftliche Konsequenzen und bedeuten für die Betroffenen eine Verringerung von Bildungschancen, Lebenserwartung und Lebensqualität. Es zeigt sich schon im Kindes- und Jugendalter ein besorgniserregend steigender Trend bei Übergewicht und Adipositas, der durch die Pandemie noch verschärft worden ist. Zwar geben die Daten der Spitalsstatistik keinen Aufschluss über die Prävalenz von Depression, doch die Zahl der jungen Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern mit der Diagnose Depression ist in den letzten Jahren gestiegen. Beide Erkrankungen haben eine starke sozioökonomische Komponente – Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien sind häufiger betroffen – und beide Erkrankungen sind stigmatisierend.
Ursachen und Risikofaktoren sind bei beiden Erkrankungen sehr komplex und teilweise ident (z. B. niedriger sozioökonomischer Status, psychosoziale Risikofaktoren, Bewegungsmangel).Hinsichtlich Adipositas werden all jene Umweltfaktoren, die die Entstehung von Übergewicht fördern, als adipogenes Umfeld beschrieben, dieses umfasst auch wirtschaftliche Einflussgrößen (z. B. Art der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung sowie Lebensmittel- und Speisenangebot) – hier anzusetzen ist eine gesellschaftliche und keine individuelle Aufgabe.
Gesundheitsförderung und Prävention können eine maßgebliche Rolle zur Verbesserung der Gesundheit von Kindern einnehmen, wenn die Maßnahmen sehr früh und auf der Verhältnisebene ansetzen. Werden die Lebensbedingungen in der frühen Kindheit verbessert, verringert sich das Risiko sowohl für Adipositas als auch für Depression. Mit den Frühen Hilfen, einem Unterstützungsangebot für werdende Eltern und Familien mit Kindern bis zu drei Jahren, und deren kürzlichem flächendeckenden Ausbau in ganz Österreich ist ein diesbezüglich wichtiger Schritt gelungen. Auch mit der in Umsetzung befindlichen Neuausrichtung des Eltern-Kind-Passes können frühe Präventionsschritte gegen Adipositas und Depression gesetzt werden. Das BMSGPK adressiert durch die Verabschiedung von Leitlinien u. a. zu Mittagessen in der Schule, Mittagessen im Kindergarten und zum Schulbuffet mit dem Ziel der Verbesserung des Lebensmittel- und Speisenangebots für Schulkinder ebenfalls die Verhältnisebene. Weiters wird die Verhältnisebene im Rahmen des Programms „Richtig essen von Anfang an!“ u. a. durch das Österreichische Nährwertprofil zur Lenkung von Lebensmittelwerbung an Kinder in Audiovisuellen Medien adressiert (NEK 2021; Winzer et al. 2023). Mit der österreichweiten Initiative des FGÖ „Kinder essen gesund“ soll Kindern eine gesundheitsförderliche und klimafreundliche Ernährungsweise vermittelt werden. Doch die steigenden Prävalenzzahlen und die komplexen Determinanten legen nahe, dass noch mehr Anstrengungen unternommen werden müssen. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem Bildungsressort, aber auch mit anderen Politikfeldern, wenn es beispielsweise um die Förderung bzw. die Ermöglichung von Bewegung geht.
Großer Handlungsbedarf besteht auch im Bereich der Versorgung. Es gibt derzeit keine klaren Behandlungspfade (wichtige Grundlagendokumente sind zwar vorhanden, aber nicht handlungsleitend/verbindlich) und es gibt zu wenig Ressourcen.
Weitere Informationen:
Gesundheitsbericht Kinder und Jugendliche BMSGPK