GÖG-Colloquium | Über die Grundirrtümer der Gesundheitspolitik und warum Value-Based Health Care die Lösung ist
Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin,spricht
Über die Grundirrtümer der Gesundheitspolitik und warum Value-Based Health Care die Lösung ist
„A G'sunder hat viele Wünsch', a Kranker bloß oin“, – so ließe sich „Value-Based Health Care“ in die schwäbische Mundart übersetzen. Im Gesundheitswesen geht es ausschließlich darum, Patientenleid zu heilen oder zu lindern. Was erleben wir?
Dem medizinischen Fortschritt verdanken wir es, dass immer mehr Krankheiten behandelt und mehr Patientinnen und Patienten - auch besonders vulnerable - versorgt werden können. Die Medizin ist heute hochspezialisiert, sie entwickelt sich aber auch von „Cure“ zu „Care“.
Während die Patientenversorgung sehr viel komplexer und anspruchsvoller geworden ist, hat sich das Organisationsprinzip nicht weiterentwickelt. Die Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren gleicht einem Fließband-Szenario: Sie arbeiten nacheinander statt miteinander, die Ziele der beteiligten Berufsgruppen und Akteurinnen/Akteure sind schlecht koordiniert und oftmals konfliktbelastet, die Ergebnisse der Patientenversorgung sind häufig unklar. Dieses Fließbandprinzip hat nahezu alle Gesundheitssysteme, egal ob marktwirtschaftlich oder staatlich organisiert, in eine Krise geführt. Die politische Führung verfolgt seit Jahrzehnten eine Strategie der „Dezimierung“ von Kosten, Mengen und Strukturen. Dies führt lediglich zu Ausweich- und Abwehrstrategien. Eine Kultur des Misstrauens wird gefördert, „Markt“ und „Wettbewerb“ verstärken das Gegeneinander anstelle des Miteinanders. Nach jahrzehntelanger Leistungssteigerung und Wachstum sind Finanzierung und Leistungssteuerung die zentralen Probleme in der Gesundheitspolitik.
Jedes System neigt zunächst zur Leistungsausweitung, dann zur Optimierung. Im Gesundheitswesen bedeutet Optimierung eine Ausrichtung des Gesundheitssystems auf explizite, patientenorientierte Werte (anstelle von Kosten) - nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf Ebene der Versorgung ganzer Patientengruppen. Qualitätsmanagement, Patientensicherheit und Changemanagement sind dabei die Führungsinstrumente, diese Ziele zu erreichen, gemeinsame Verantwortung befördert die Umsetzung von Gesundheitszielen. Durch explizite Werteorientierung mit adäquaten finanziellen Anreizen kann ein lernendes System entstehen, das sich kontinuierlich nach dem Wohl kranker Menschen bemisst. Effektivität, Effizienz und Glaubwürdigkeit würden so gestärkt.
Dr. med. Günther Jonitz, Facharzt für Chirurgie, ist seit 1999 Präsident der Ärztekammer Berlin und Vorsitzender der Qualitätssicherungsgremien der Bundesärztekammer. Darüber hinaus ist er Nationaler Fachexperte zum Thema „Patientensicherheit“ und Berater des Bundesministeriums für Gesundheit. Neben zahlreichen anderen Mitgliedschaften und Funktionen ist er Vertreter der Bundesärztekammer im Kuratorium des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie im Kuratorium des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Unter seinen bisherigen Aktivitäten finden sich die Mitgründung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin und des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. Für seine Verdienste im Rahmen der Einführung von Patientensicherheit und Werteorientierung im Gesundheitswesen erhielt er 2016 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Begrüßung
Dr.in med. Brigitte Piso, MPH
Geschäftsbereichsleiterin des Bundesinstituts für Qualität
im Gesundheitswesen (BIQG), Gesundheit Österreich GmbH
Moderation
Mag.a Andrea Fried
Gesundheit Österreich GmbH